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  • Frequency


  • Secession


  • Zinnober (Secession)


  • Nur ein Nagel hat so etwas gern

    Nur ein Nagel hat so etwas gern


    Der Schreck sitzt tief beim Betreten des Raumes. Von rotem Licht hinterfangen steht er dort, übermenschlich groß, die Arme zum Himmel erhoben. Ungläubig verharrt der Blick auf der monumentalen Figur, die sich über drei Meter hohes, frei im Raum zu schweben scheinendes Papier erstreckt. Die Stiefel glänzen, die Uniform sitzt, unübersehbar ist das kleine Bärtchen. Das Tageslicht schimmert durch die rot gefärbten Fenster, als ob der Raum in Flammen stünde. Erst beim zweiten Hinsehen nehmen wir die Sonne mit den gleichmäßig nach unten rinnen- den Strahlen, das Register aus Schubladen im Hintergrund wahr. Moment mal – findige Augen werden den Mann identifizieren. Es ist Charlie Chaplin in „Der große Diktator“ aus dem Jahr 1940. Eine ikonische Szene auf dem Höhepunkt der Satire, als Chaplin in der Rolle des Adenoid Hynkel zu Wagnerklängen mit der ballonartigen Erd- kugel tanzt, bis der Traum von der Weltherrschaft zerplatzt.

    Dies ist jedoch nicht das einzige Moment in der Abschlusspräsentation von Mio Zajac, das mit unserer Wahrneh- mung spielt, uns hinters Licht zu führen versucht. Eine zweite Täuschung – die eigentlich keine ist, will sie doch of- fenbart werden – zeigt sich beim näheren Besehen des Bildes. Die vermeintlich schwarz-weiße Szene entpuppt sich als Raster aus unzähligen Emojis, kleine bunte Bilder vereinfacht dargestellter Emotionen. Erst all diese lustigen kleinen Symbole, die allzu gerne im digitalen Raum Verwendung finden, ergeben in Summe das große schaurige Gesamtbild.

    Ein Bruch, der sich anhand der übrigen Ausstattung des Raumes fortsetzt. So erinnert zum Beispiel die Skulptur eines gesichtslosen Babys an ein barockes Putto. Das anonymisierte Kleinkind streckt zwar einladend die Hand aus, erwartet die Eintretenden aber hinter einem mit kleeblattförmigen Durchbrüchen verzierten Schuhabkratzer. Ein früher gängiges, fest am Eingang installiertes Kratzeisen, welches Privat- und Geschäftsgebäude vor unter den Soh- len befindlichen Verunreinigungen schützen sollte. Bei Zajac dient die pastellfarbene Schmutzschleuse allerdings mehr als Warnsignal, jeglichen Mist vor der Tür zu lassen.

    Folgend geht es in diffuser Lichtstimmung unmittelbar auf das großformatige Bild im Zentrum zu. Gesäumt wird es von zwölf monochromen Skulpturen, die sich zu einer in kindgerechter Höhe angebrachten Gemäldegalerie grup- pieren. Stilisierte Kissen verstärken die sakrale Atmosphäre, werden zuweilen von einem unbeschriebenen Spruch- band umspielt, laden zur Anbetung ein. Seltsame Geräusche stören jedoch die andächtige Stille, schwellen an und wieder ab, lassen sich nur schwerlich einordnen, klingen wie Sounds aus Videospielen. Der bedrohlich dröhnende Bass lässt den eigenen Körper vibrieren. Rot leuchtet die Soundbox von innen durch kleine Emoji- Wolken, wird bekrönt von einem prominent platzierten, roten Buch. Letzteres korrespondiert mit dem Zinnoberrot der Fenster. Zinnober – das wird im Deutschen umgangssprachlich auch als Synonym für wertlos und unsinnig verwendet.

    Wer sich auf Zajacs Spielwiese vorwagt, einen genaueren Blick hinter die Dinge wirft, entdeckt auf der Rückseite des Druckes schließlich den Titel der Ausstellung. In kindlicher Schrift steht dort „Nur ein Nagel hat so etwas gern“ geschrieben. Eine Textzeile aus einem Song, welche der Künstler über Jahre hinweg falsch verstanden hat. Vielleicht aber legen sich im Missverständnis auch erst die wahren Bedeutungsebenen offen?

    Gewalt, Exzess, Heiligenfiguren – ironisch gebrochen. Das sind Themen, die Mio Zajac schon lange begleiten. Fragmentiert kommt er daher, der große Diktator, bereits von Chaplin der Lächerlichkeit preisgegeben. Wann, wenn nicht jetzt, unmittelbar nach den Europawahlen und drohenden Landtagswahlen im Osten auf den absurden Größenwahn der Rechten, hintergründig lauernde Gewalt aufmerksam machen? Wer die Aktivitäten einschlägiger Figuren auf den sozialen Medien beobachtet, weiß wie sich die rechte Propaganda über TikTok vornehmlich an eine junge Zielgruppe richtet. Zustimmende Emojis strömen in Streams von allen Seiten zur Bildmitte hin, pflich- ten den Protagonisten bei. Der Schreck sitzt tief beim Betreten des Raumes.

    „Nur ein Nagel hat so etwas gern“ ...........😏


    Rauminstallation: ca. 800 x 650 x 1000 cm | 2024


    Text: Julia Stellmann

     

  • Holy Shit

    Holy Shit


    Auf dem Grund findet sich ein Fundstück aus grauem Beton, nun umgeben von einer goldenen Aura. Was verbirgt der Deckel sonst, wenn die täglichen Wege unbewusst über Unterwel- ten leiten? Am Straßen- rand bleibt der Schachtde- ckel zumeist unbeachtet, aber ist trotzdem immer präsent. Das Symbol einer kleinen Wolke irritiert, lässt das schwere Objekt beinah leicht erscheinen.


    Object: Beton-Gusseisen-Schachtdeckel, 24 Karat Blattgold | ⌀68 x 10 cm, 118 kg | 2023


    Text: Julia Stellmann

  • Gloria


  • Liegende (Diptychon)


  • Carpet Diem Series

    Carpet Diem Series


    Die Arbeit „Carpet Diem“ setzt sich mit den wert- vollsten Teppichen der Welt auseinander, die bei renommierten Auktionshäusern wie Sotheby‘s oder Christie‘s für exorbitante Summen verstei- gert wurden.

    Anders als die Originalteppiche, die durch mühe- volle Handarbeit geschaffen wurden und einen unschätzbaren künstlerischen und kulturellen Wert haben, sind die Reproduktionen mithilfe eines speziellen Computerprogramms generiert, deren Größe exakt dem der Originale entspricht. Darüber hinaus wird versucht, die Komplexität und Vielfalt der Teppichmuster, Form und Farb- gebung so detailgetreu wie möglich nachzubil- den. Dabei dienen die 3297 existierenden Emoti- con-Symbole als Grundlage, um eine Verbindung zwischen digitaler Kultur und traditioneller Hand- werkskunst in eine zeitgemäße Transformation zu überführen. Bei der Herstellung wird auf digi- tale Prozesse zurückgegriffen und mit Hilfe eines Pigmentdruckverfahrens das Ergebnis auf mat- tes Papier übertragen, um ein täuschend echtes Imitat der alten Kunst des Teppichknüpfens zu erzielen.

    Erst bei genauerem Hinsehen oder einer Berüh- rung fällt auf, dass es sich um Reproduktionen handelt, was zu einer gewissen Irritation führt.


    Pigmentdruck auf Baumwollapier | 2021

  • Faltenwurf


  • Psychoanalyse


  • Ecce Homo

    Ecce Homo


    Eine Abgrenzung schützt ein kleinformatiges Bild wie eine seltene Kostbarkeit. Ist es die Mona Lisa? Ähn- lich ikonisch zumindest ist das reproduzierte Werk, das den Betrachtenden aus sicherer Entfernung ent- gegenblickt. Im Original ist jedoch keine bekannte Künstlerin, sondern die spanische Rentnerin Cecilia Giménez die Urheberin, welche die Restaurierung ei- nes Wandgemäldes in der Wallfahrtskirche Santuario de Misericordia nahe Borja schlichtweg selbst in die Hand nahm. Um das Fresko des spanischen Malers Elías García Martínez vor dem drohenden Verfall zu retten, legte sie eigens Pinsel und Farbe an.

    Der Fall machte folgend weltweit Schlagzeilen, waren die Farben zwar nun von neuer Brillanz, die original- getreue Erhaltung im Sinne einer wertegeleiteten Res- taurierung aber ließ zu wünschen übrig.

    Im Netz wurde die Geschichte vielfach geteilt, Bil- der verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, waren schnell überall auffindbar. Die kuriose Geschichte bekam viel mehr Aufmerksamkeit als das vorherige Bild wohl je hätte erhalten können. So pilgerten die Menschen plötzlich in Scharen in die spanische Kirche, denn das modifizierte Bild hatte sich als „Ecce Monchichi“ zum Meme entwickelt. Der amerikanische Autor Andrew Flack schrieb sogar eine komische Oper rund um die Thematik.

    Mio Zajac reproduziert das Bild und nimmt in seiner Formsprache zugleich auf dessen Entwicklungsge- schichte Bezug, indem er es gänzlich aus Emojis kons- truiert. Die Betrachtenden werden dabei künstlich auf Abstand gehalten, eine Anmutung von Wert kreiert. Was ist tatsächlich von wertvoll in einer Gesellschaft der Aufmerksamkeitsökonomie? Obwohl Walter Ben- jamin vom Verlust der Aura im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit sprach, den er an der veränder- ten Art der Wahrnehmung festmachte, kann mediale Aufmerksamkeit auch zum Aufbau einer auratischen Wirkung beitragen. Denn sie ist ein knappes Gut, das sich in fluiden Datenräumen zum begehrten Kapital entwickelt. Jedes Mal, sobald ein Bild weiterverbreitet, in Publikationen reproduziert wird, steigt seine Be- kanntheit, kreiert sich wie von selbst eine Aura in den Köpfen der Menschen. Gerne möchte man das vielbe- sprochene Werk mit den eigenen Augen sehen. Ähn- lich verhält es sich mit Memes und Emojis, kleinen Bil- dern, die um die ganze Welt wandern. Mit Sicherheit mittlerweile bekannter sind als die Mona Lisa.


    Rauminstallation ca. 200 x 450 cm,

    Pigmentdruck auf Papier 40 x 30 cm - gerahmt, Molton, Lichtspot, Absperrung zur Kontrolle von Menschenmengen, 2023


    Text: Julia Stellmann

  • Sehstück

    SEHSTÜCK


    Die Wellen sind rot. Ein Ozean aus Blut. Es schäumt, als würde sich aus weiß bekröntem Wellensaum etwas gebären. Bilder werden angespült. Ausschnitte von Videos, die Szenen der Gewalt zeigen. Glänzende Messer, leblose Körper, abgeschnittene Köpfe, die am Boden liegen. Was schwer erträglich ist, wird von Emojis zensiert. Lustige, unverfängliche Bildchen rastern die Videoausschnitte, teilen sie ein in quadratische Kacheln. Sie laufen auf und nieder, lassen die Bildoberfläche vor dem Auge vibrieren. Ein schnell wechselndes Gewirr aus Stellvertretern von Emotionen, aus Lachen, Weinen, Herzchenaugen. Spiegeln sie die digitalen Reaktionen auf Gewaltvideos, die laufend im Netz verbreitet werden? Ein nie enden wollender Strom der Gefühle, die selten mehr als oberflächlich stattfinden, eine kurze Reaktion aus der Ferne und dann weiter zum nächsten Video.

    Die Videoausschnitte zeigen Hinrichtungen, erinnern an bekannte Veröffentlichungen vom IS mit wie Trophäen präsentierten Köpfen, entstammen aber in Wahrheit den Favelas in Südamerika. Immer wieder wird das „Sehstück“, so der Titel der Arbeit, von gefärbten Wellen eines dunkel schäumenden Ozeans unterbrochen, bis sich eine neue Welle der Gewalt an den Augen der Betrachtenden bricht. Stimmen werden lauter, dann leiser, schwellen an und wieder ab wie das Wellenrauschen. Dann ist der Bildschirm schwarz, für ein Augenblinzeln – und länger, zögerlich, als würde man die Augen verschließen und nicht mehr öffnen wollen. Es sind Videos, die unvermittelt aus den Tiefen der Gewässer an die Oberfläche treten, sich am Ufer ablagern und dann wie Fundstücke am Strand liegen bleiben, sich kontextlos von allen Seiten betrachten lassen. Verortet an der Demarkationslinie zwischen Wasser und Land, Leben und Tod. Wie damit umgehen? Zurück in die Fluten werfen oder speichern, teilen, melden? Eine seltsame Faszination, die scheidende Meerestiere am Strand liegend ausüben.

    Nur ein Buchstabe trennt den Titel der Arbeit vom Sujet des sogenannten Seestücks, welches die malerische Darstellung des Meeres, der Küste oder einer Seeschlacht beschreibt. Auch hier ist es das Video einer Schlacht, das auf offenem Gewässer umhertreibt. Gedanken an Mitarbeiter*innen von großen Social-Media- Plattformen kommen in den Sinn, deren Job es ist, gewalttätige und pornografische Inhalte zu sichten und bei Richtlinienverstoß zu entfernen. Die Dokumentation „The Cleaners“ rückte sie aus dem Schatten ins Licht. Auf den Philippinen ansässige sogenannte Content-Moderator*innen, die jeden Tag mit Folter und Gewalt konfrontiert werden, selbst seelischen Schaden durch ihre Arbeit erleiden. Gewaltvideos sind Machtdemonstrationen, legen Zeugnis ab. Sie untermauern die Schreckensherrschaft von Gangs, von Terroristen, verbreiten ein Klima der Angst. Zugleich dienen Gewaltvideos bei der Aufklärung von Verbrechen, werden von NGOs und Staatsgewalt genutzt, um Kriegsverbrechen festzustellen.

    Mio Zajacs „Sehstück“ hinterfragt unsere Sehgewohnheiten, unseren Umgang mit Gewaltvideos im Internet. Gefühle schwappen über, Konflikte eskalieren, Köpfe werden der Kamera präsentiert. Die Empörung ist zunächst groß, wenn virulente Bilder geteilt werden, durch alle einschlägigen Medien rattern. Die Welle der Empörung aber verebbt, sobald die Brandung nachlässt. Der Ozean zieht das Fundstück in die Wellen zurück, das Wasser färbt sich blau, bis das nächste Video in die Timeline gespült wird. Was, wenn die Flut eines Tages über uns zusammenbricht?


    Videoinstallation: 9:16 (1.080 x 1.920 px), | 02:55 min. | Format: mp4, 25fps, Stereo | 2021


    Text: Julia Stellmann

  • Kinder


  • Electric Ave


  • Porno-Grafisch


  • einige Wolken ziehen nicht vorüber (Zinnober)


  • 72 Jungfrauen (Huris)


  • Die Neunte Symphonie


  • Autogramm