"Nur ein Nagel hat so etwas gern", Installationsansicht in der Kunstakademie Düsseldorf, 2024



Der Schreck sitzt tief beim Betreten des Raumes. Von rotem Licht hinterfangen steht er dort, übermenschlich groß, die Arme zum Himmel erhoben. Ungläubig verharrt der Blick auf der monumentalen Figur, die sich über drei Meter hohes, frei im Raum zu schweben scheinendes Papier erstreckt. Die Stiefel glänzen, die Uniform sitzt, unübersehbar ist das kleine Bärtchen. Das Tageslicht schimmert durch die rot gefärbten Fenster, als ob der Raum in Flammen stünde. Erst beim zweiten Hinsehen nehmen wir die Sonne mit den gleichmäßig nach unten rinnenden Strahlen, das Register aus Schubladen im Hintergrund wahr. Moment mal – findige Augen werden den Mann identifizieren. Es ist Charlie Chaplin in „Der große Diktator“ aus dem Jahr 1940. Eine ikonische Szene auf dem Höhepunkt der Satire, als Chaplin in der Rolle des Adenoid Hynkel zu Wagnerklängen mit der ballonartigen Erdkugel tanzt, bis der Traum von der Weltherrschaft zerplatzt.


Dies ist jedoch nicht das einzige Moment in der Abschlusspräsentation von Mio Zajac, das mit unserer Wahrnehmung spielt, uns hinters Licht zu führen versucht. Eine zweite Täuschung – die eigentlich keine ist, will sie doch offenbart werden – zeigt sich beim näheren Besehen des Bildes. Die vermeintlich schwarz-weiße Szene entpuppt sich als Raster aus unzähligen Emojis, kleine bunte Bilder vereinfacht dargestellter Emotionen. Erst all diese lustigen kleinen Symbole, die allzu gerne im digitalen Raum Verwendung finden, ergeben in Summe das große schaurige Gesamtbild.


Ein Bruch, der sich anhand der übrigen Ausstattung des Raumes fortsetzt. So erinnert zum Beispiel die Skulptur eines gesichtslosen Babys an ein barockes Putto. Das anonymisierte Kleinkind streckt zwar einladend die Hand aus, erwartet die Eintretenden aber hinter einem mit kleeblattförmigen Durchbrüchen verzierten Schuhabkratzer. Ein früher gängiges, fest am Eingang installiertes Kratzeisen, welches Privat- und Geschäftsgebäude vor unter den Sohlen befindlichen Verunreinigungen schützen sollte. Bei Zajac dient die pastellfarbene Schmutzschleuse allerdings mehr als Warnsignal, jeglichen Mist vor der Tür zu lassen.


Folgend geht es in diffuser Lichtstimmung unmittelbar auf das großformatige Bild im Zentrum zu. Gesäumt wird es von zwölf monochromen Skulpturen, die sich zu einer in kindgerechter Höhe angebrachten Gemäldegalerie gruppieren. Stilisierte Kissen verstärken die sakrale Atmosphäre, werden zuweilen von einem unbeschriebenen Spruchband umspielt, laden zur Anbetung ein. Seltsame Geräusche stören jedoch die andächtige Stille, schwellen an und wieder ab, lassen sich nur schwerlich einordnen, klingen wie Sounds aus Videospielen. Der bedrohlich dröhnende Bass lässt den eigenen Körper vibrieren. Rot leuchtet die Soundbox von innen durch kleine Emoji- Wolken, wird bekrönt von einem prominent platzierten, roten Buch. Letzteres korrespondiert mit dem Zinnoberrot der Fenster. Zinnober – das wird im Deutschen umgangssprachlich auch als Synonym für wertlos und unsinnig verwendet.


Wer sich auf Zajacs Spielwiese vorwagt, einen genaueren Blick hinter die Dinge wirft, entdeckt auf der Rückseite des Druckes schließlich den Titel der Ausstellung. In kindlicher Schrift steht dort „Nur ein Nagel hat so etwas gern“ geschrieben. Eine Textzeile aus einem Song, welche der Künstler über Jahre hinweg falsch verstanden hat. Vielleicht aber legen sich im Missver- ständnis auch erst die wahren Bedeutungsebenen offen?


Gewalt, Exzess, Heiligenfiguren – ironisch gebrochen. Das sind Themen, die Mio Zajac schon lange begleiten. Fragmentiert kommt er daher, der große Diktator, bereits von Chaplin der Lächerlichkeit preisgegeben. Wann, wenn nicht jetzt, unmittelbar nach den Europawahlen und drohenden Landtagswahlen im Osten auf den absurden Größenwahn der Rechten, hintergrün- dig lauernde Gewalt aufmerksam machen? Wer die Aktivitäten einschlägiger Figuren auf den sozialen Medien beobachtet, weiß wie sich die rechte Propaganda über TikTok vornehmlich an eine junge Zielgruppe richtet. Zustimmende Emojis strömen in Streams von allen Seiten zur Bildmitte hin, pflichten den Protagonisten bei. Der Schreck sitzt tief beim Betreten des Raumes „Nur ein Nagel hat so etwas gern“ .............🤔


Julia Stellmann




"Nur ein Nagel hat so etwas gern", Installationsansicht in der Kunstakademie Düsseldorf, 2024

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", Installationsansicht in der Kunstakademie Düsseldorf, 2024

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", Installationsansicht in der Kunstakademie Düsseldorf, 2024

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)

"Nur ein Nagel hat so etwas gern", (detail)