"Ecce homo", Installationsansicht in der plan.d. produzentengalerie, Düsseldorf, 2023



Ecce homo

Eine Abgrenzung schützt ein kleinformatiges Bild wie eine seltene Kostbarkeit. Ist es die Mona Lisa? Ähnlich ikonisch zumindest ist das reproduzierte Werk, das den Betrachtenden aus sicherer Entfernung entgegenblickt. Im Original ist jedoch keine bekannte Künstlerin, sondern die spanische Rentnerin Cecilia Giménez die Urheberin, welche die Restaurierung eines Wandgemäldes in der Wallfahrtskirche Santuario de Misericordia nahe Borja schlichtweg selbst in die Hand nahm. Um das Fresko des spanischen Malers Elías García Martínez vor dem drohenden Verfall zu retten, legte sie eigens Pinsel und Farbe an. Der Fall machte folgend weltweit Schlagzeilen, waren die Farben zwar nun von neuer Brillanz, die originalgetreue Erhaltung im Sinne einer wertegeleiteten Restaurierung aber ließ zu wünschen übrig. 

Im Netz wurde die Geschichte vielfach geteilt, Bilder verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, waren schnell überall auffindbar. Die kuriose Geschichte bekam viel mehr Aufmerksamkeit als das vorherige Bild wohl je hätte erhalten können. So pilgerten die Menschen plötzlich in Scharen in die spanische Kirche, denn das modifizierte Bild hatte sich als „Ecce Monchichi“ zum Meme entwickelt. Der amerikanische Autor Andrew Flack schrieb sogar eine komische Oper rund um die Thematik.

Mio Zajac reproduziert das Bild und nimmt in seiner Formsprache zugleich auf dessen Entwicklungsgeschichte Bezug, indem er es gänzlich aus Emojis konstruiert. Die Betrachtenden werden dabei künstlich auf Abstand gehalten, eine Anmutung von Wert kreiert. Was ist tatsächlich von wertvoll in einer Gesellschaft der Aufmerksamkeitsökonomie? Obwohl Walter Benjamin vom Verlust der Aura im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit sprach, den er an der veränderten Art der Wahrnehmung festmachte, kann mediale Aufmerksamkeit auch zum Aufbau einer auratischen Wirkung beitragen. Denn sie ist ein knappes Gut, das sich in fluiden Datenräumen zum begehrten Kapital entwickelt. Jedes Mal, sobald ein Bild weiterverbreitet, in Publikationen reproduziert wird, steigt seine Bekanntheit, kreiert sich wie von selbst eine Aura in den Köpfen der Menschen. Gerne möchte man das vielbesprochene Werk mit den eigenen Augen sehen. Ähnlich verhält es sich mit Memes und Emojis, kleinen Bildern, die um die ganze Welt wandern. Mit Sicherheit mittlerweile bekannter sind als die Mona Lisa.


Julia Stellmann



"Ecce homo", (detail)